Verletzt sein oder Opfer sein

Veröffentlicht am 27. Juli 2025 um 10:44

Verletzt sein ist etwas anders, als ein Opfer zu sein.
Sind wir verletzt, holen wir uns Hilfe. Wir kleben ein Pflaster auf die Wunde oder nehmen Pillen oder Saft, und die Wunde verschließt sich.
Bei seelischen Verletzungen fehlen uns solche Mittel. Wir bleiben mit der Wunde alleine. Sie schmerzt.

Was geschieht jetzt?
Aufgrund unserer Hilflosigkeit finden wir die Verursacher. Dieser ist der Mensch, der uns hier etwas angetan hat. Er hat böse Worte gesprochen. Er ist an unserem Treffen nicht gekommen. Wir fühlen uns im Stich gelassen, hilflos und klein. Wir fühlen uns den Umständen ausgeliefert.

Opfer sein entsteht. Auf diesem Boden werden wir zu einem kleinen Kind, das sich im Stich gelassen fühlt. Da wir erwachsene Leute sind, verwandelt sich die Hilflosigkeit. Wir fühlen uns als Opfer der Umstände. Personen haben uns etwas angetan. Sie werden zum Täter. Sie haben sogar Namen erhalten: Narzissten werden sie abfällig genannt. Es wird mit dem Finger auf sie gedeutet. Sie werden mit Worten ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.

Wie erkennen wir den Unterschied zwischen der Verletztheit und dem Opfersein?
Es gibt hier beliebte Sätze, die gerne ausgesprochen werden:
- Du bist schuld.
- Meine Eltern sind schuld.
- Ich habe so vieles in meinem Leben mitgemacht.
- Was weißt denn du schon davon?
- Ich bin schon 30, 40, 70 Jahre alt, viel älter als du.

Opfer strahlen, wenn sie vom Schlimmen erzählen. Der Blick ist auf den anderen gerichtet. Wegwärts von sich. Der andere soll sich heilen, dann geht es ihnen gut, meinen sie.

Eine körperliche Wunde wird gesehen. Darum ist es offensichtlich, wo der Schmerzherd behoben werden kann.

Eine seelische Wunde ist unsichtbar in uns. Sie kann von außen nicht wahrgenommen werden. Der Schmerzherd wird außen bei Menschen, Orten, Situationen, der Kultur, der Gesellschaft, Religion, dem Land, der Kindheit, früheren Leben und noch vielen mehr, welche mir gerade nicht einfallen, konkret benannt. So genau wissen wir nicht, wie wir und wo wir uns schmerzlindernd versorgen können.

Bleiben wir bei uns. Dann sind wir gut versorgt. Wir können uns erinnern an frühere Heilmittel, die uns gut getan haben, seelischen Schmerz zu lindern. 

Ist unser Blick auf den anderen gerichtet. Dann sind wir die selbsternannten Richtern, Kl

gern und Rechthabern geworden. Heilung ist hier nicht möglich.

Du hast die Wahl.
co Michaela Aust

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